Wieder einmal ist mir die Verästelung eines sehr alten Auslegungsmotivs untergekommen, bei der es um den Messias und das Manna – also das Himmelsbrot aus der Zeit der Wüstenwanderung – geht.
Und wiederum ist der Vierte Evangelist beteiligt. In der großen eucharistischen Rede in Joh 6 diskutiert Christus in der Synagoge von Kafarnaum die Frage nach dem Verhältnis des Himmelsbrots zu Zeit des Mose – und dem lebendigen Himmelsbrot, das er selber ist (Joh 6,32-59).
Mir kommt vor, dass sich Johannes dabei mit einer Auslegung auseinandersetzt, die die Rabbinen im Zusammenhang mit Koh 1,10 überliefert haben: »Kann man von irgend etwas sagen: ‚Siehe, das ist neu‘? Längst schon war es in unbekannten Zeiten, die vor uns gewesen sind!« (Ü: Schlachter) Die entsprechende Deutung findet sich im Midrasch zum Buch Kohelet (den Stemberger ins 8. Jh. einordnet – aber wie üblich dürfte er wesentlich älteres Material enthalten). Hier der Text:
»Rabbi Berachja sagte im Namen des Rabbi Jichzak: wie der erste Erlöser (Mose) wird auch der letzte handeln: wie der erste sein Weib und seine Kinder auf einem Esel reiten liess (vgl. Ex 4,20), so wird auch der letzte auf einem Esel reiten; wie ferner der erste das Volk mit Manna speiste (Ex 16,4), so wird auch der letzte Manna herabbringen (vgl. Ps 72,16); wie endlich der erste den Brunnen aufsteigen liess, so wird auch der letzte Wasser aufsteigen lassen (vgl. Joël 4,18). So gibt es manches, von dem man sagt: ‚Siehe, das ist etwas Neues!‘ – es ist aber doch schon dagewesen (s. Koh 1,10).« (Midrasch Kohelet I,10, Übersetzung und Parallelstellen: August Wünsche)
Johannes betont dagegen, dass der Messias mehr bringt als Mose (Joh 6,32) – aber er kennt auch das Motiv von der Wasserquelle. Und dass der Messias auf einem Esel reitet, ist Johannes auch bekannt (Joh 12,12-16). Für mich ein weiteres Beispiel, wie sehr Johannes in den Auslegungstraditionen aus der Zeit des Zweite Tempels zu Hause war.