»Ich aber sage euch …«

Eine der bekanntesten Formulierungen aus der Bergpredigt ist die mehrfach verwendete Formel: »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist … ich aber sage euch« (Mt 5,21.27.35). Zusammen mit Mt 5,27+31+38 wird gerne von den »Antithesen« der Bergpredigt gesprochen – aus denen dann weitreichende christologische Folgerungen gezogen werden. Zu Recht?

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Formulierung »ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist« ein so genanntes »passivum divinum« ist – ein »göttliches Passiv«. Denn was Jesus hier zitiert ist ja das Gotteswort vom Sinai. Sinn dieser Formulierung dürfte die Vermeidung des Heiligen Namens gewesen sein. Wenn Jesus aber an dieses Gotteswort ein »ich aber sage euch« anhängt, dann stellt er sich doch weit über die Tora?

In seinem heute noch lesenswerten Buch »Jesus der Christus« schreibt Walter Kardinal Kasper: »Jesus aber überbietet das Gesetz (…) und überschreitet damit den Boden des Judentums. Er stellt sein Wort zwar nicht gegen, aber doch über die höchste Autorität des Judentums, über das Wort des Moses. Hinter der Autorität des Mose steht jedoch die Gottes. (…) Mit seinem ‚Ich aber sage euch‘ beansprucht Jesus also, das endgültige Wort Gottes zu sagen, welche das Wort Gottes im Alten Testament zu seiner überbietenden Erfüllung bringt« (IV,1).

Aus zwei Gründen habe ich ein ziemliches Problem mit dieser Auslegung und der ihr zugrunde liegenden Übersetzung des Matthäus Textes. Mir gibt zu denken, dass Jesus in der Einleitung der Bergpredigt sagt: »Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.« (Mt 5,17-18 EÜ)

Abgesehen davon, dass der griechische Wortlaut – die Kenntnis des hebräischen Schriftbildes voraussetzend – wörtlich sagt, dass »nicht ein Jota oder ein Häkchen« vergehen soll – wieso setzt sich Jesus dann drei Verse später so resolut über das Gesetz (also die Tora) hinweg?

Das griechische Wort  aus der Formel egō dé légō hymin muss nicht mit »aber« übersetzt werden. Es kann auch mit »nämlich«, »weiterhin« »also« verdeutscht werden. Sinngemäß muss es für mich im Kontext der Einleitung daher heißen: »Ihr habt gehört, dass Gott durch Mose gesagt hat …. ich sage euch also jetzt, was das konkret bedeutet.« Und ich denke, dass mir die jeweilige Fortsetzung recht gibt, denn Jesus hebt ja den Dekalog nicht auf, sondern er legt seine Gebote radikal aus.

Aus diesen Gründen halte ich die Formulierung »Antithesen« im Zusammenhang mit Mt 5, 21 ff. für unzutreffend. Wenn es um ein Hinwegsetzen Jesu über eine Bestimmung der Tora geht, ist meiner Meinung nach Mt 19,8 der richtige Ort, um das zu diskutieren. Dazu einander mal mehr.

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