Zur Heilung des Aussätzigen in Mk 1, 39-45

Ein paar Gedanken meinerseits zu diesem Evangelium – schon seine textliche Überlieferung ruft Fragen auf – genauso wie die in meinen Augen problematische Kombination mit der entsprechenden »Lesung« aus Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46 (sic!), wie sie die Leseordnung meiner katholischen Kirche vorsieht.

Ich beginne mit dem Markustext, hier in meiner sehr wörtlichen Übersetzung, mit textkritischen Anmerkungen.

39 Und er kam zu den Synagogen um zu verkündigen ihnen in ganz Galiläa und warf die Dämonen hinaus.
40 Und es kommt zu ihm ein Lepröser, ihn bittend [und niederknieend] 1 und sagend zu ihm: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“
41 Und 2 zornig 3 die Hand ausstreckend berührte er ihn 4 und sagt zu ihm: „Ich will, werde rein!“
42 Und sofort ging die Lepra von ihm weg und er wurde rein.
43 Und ihn anschnaubend warf er ihn sofort hinaus. 5
44 Und er spricht zu ihm: Sieh zu, dass du absolut niemand etwas sagst, sondern geh hin, zeige dich selbst dem Priester und opfere für deine Reinigung das, was Moses angeordnet hat, ihnen zum Zeugnis.
45 Er aber hinausgehend, begann alles zu verkünden und verbreitete die Sache, so dass er öffentlich in keine Stadt mehr hineingehen konnte, sondern er war draußen, an einsamen Orten. Und sie kamen von überall her zu ihm. (MÜ)

Fragen

Der Text wirf einige Fragen auf: An welcher Krankheit litt der Mann? Warum wird der Wille Jesu so betont (wenn du willst – ich will)? Warum bittet der Mann nicht um seine Heilung, sondern um seine Reinigung? Warum ist Jesus zornig und warum behandelt er den Gereinigten so ruppig? Wer sind die, denen diese Reinigung bezeugt werden soll?

Antworten

Die Antworten lassen sich nicht ohne die Hintergründe aus Levitikus geben, ich bin sogar der Meinung, es hier mit einer expliziten jesuanischen Auslegung von Levitikus 13 zu tun zu haben, nicht in Form einer abstrakten akademischen Vorlesung, sondern durch seine konkrete Handlung.

Ab Lev 13 wird grundsätzlich der Umgang mit צָרַעַת (zāra’at) behandelt. »Auf Grund der Verschiedenheit der Symptome, die in Lev 13 alle mit „Aussatz“ bezeichnet werden, steht dieses Wort nicht für eine bestimmte Hautkrankheit«. 6 Erstaunlicherweise können sogar Häuser von zāra’at befallen sein (Lev 14,33 ff.). Der Schlüssel zum Verständnis der Aussagen über „Aussatz“ »liegt nicht bei der Dermatologie, sondern beim priesterlichen System von „rein und unrein“.« 7

Rein und Unrein

»Die in der Tora beschriebenen Kategorien von Rein und Unrein haben nichts mit Hygiene-Vorschriften zu tun, sondern bezeichnen den Zustand einer Person oder einer Sache hinsichtlich ihrer Möglichkeit des Eintretens in den Bereich des Heiligen. Es handelt sich um eine Kategorie aus dem Bereich des Kultischen.« 8 Deswegen bittet der Lepröse Jesus also nicht darum, geheilt zu werden. Er bittet um die Wiederherstellung seiner Kultfähigkeit.

Lepra?

Aber der Markustext spricht doch von einem Leprösen (leprós) und bezeichnet sein Leiden als Lepra (lépra)? Das rührt daher, dass die Septuaginta das Hebräische zāra’at als lépra übersetzt. Daher sind auch die Häuser in Lev 14,33 ff. in der LXX von „Lepra“ befallen. Die Wortwahl des Markus unterstreicht also den Zusammenhang mit der priesterlichen Reinigung.

Die Rolle des Priesters

Wer den Text in Lev 13 aufmerksam liest, bemerkt, dass alles vom „Sehen“ des Priesters abhängt. Seine Sicht der Dinge ist der entscheidende Faktor. Er besieht den betreffenden Menschen und erklärt ihn für rein oder unrein. »Die Entscheidung des Priesters hat deklaratorischen Charakter: Er (…) schafft damit für den/die Betroffene/n eine neue Wirklichkeit der Existenz innerhalb oder eben außerhalb der Kult-Gemeinschaft.« 9 Diese Rolle stellt Jesus nicht in Frage, er verweist den Leprösen ja ausdrücklich an den Priester, um seine Reinheit deklarieren zu lassen.

Der Zorn Jesu

Jesus ist wütend, als der Mann zu ihm kommt, und er verhält sich geradezu aggressiv, als er ihn hinauswirft. Bemerkenswerter bringt diese Handlung an dem Aussätzigen Jesus selbst in dessen Lage! Auf einmal ist es der vormals Lepröse, der öffentlich verkündet, und Jesus muss sich in die Einsamkeit zurückziehen, wie ein Aussätziger. Der Unterschied: die Menschen meiden ihn nicht, sondern strömen in Massen zu ihm, an die einsamen Orte.

Ich interpretiere den Zorn Jesu so: er ist zutiefst unzufrieden mit dem Umgang der Menschen mit dem zāra’at. Dass er überhaupt eingreifen muss, macht ihn wütend. Denn er sieht in den Bestimmungen von Lev 13 als Ziel die Wiedereingliederung des zāra’at – aber nicht seinen dauerhaften Ausschluss. Mit seiner paradoxen Intervention stellt Jesus diesen eigentlichen Sinn der Bestimmungen der Tora heraus, ihnen zum Zeugnis. Damit sind nicht die Priester gemeint (der Priester kommt im Text nur als Singular vor), sondern die Menschen von Galiläa, in deren Synagogen er predigt.

Fazit

Ob meine Deutung zutreffend ist oder nicht: eine »Lesung«, die aus den Versen Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46 zusammengestückelt ist, wird kaum dazu angetan sein, die komplexen kultischen Dimensionen des Umgangs mit dem zāra’at zu erhellen. Der /die normale Gottesdienstbesucher/in wird die »Lesung« als unmenschlich empfinden, und sich fragen, wieso Jesus den Mann überhaupt noch zu dem Priester hinschickt.

Show 9 footnotes

  1. Eine Reihe Handschriften lassen das Niederknien weg, andere machen einen Halbsatz daraus: und er kniete vor im nieder und … Auch wenn die handschriftliche Unterstützung für die kürzere Lesart stark ist, sprechen doch die Parallelstellen in Mt 8,2 (»sich nieder werfend«) und Lk 5,12 (»auf das Gesicht fallend«) für den längeren Text an dieser Stelle.
  2. Andere gut belegte Lesart: Aber Jesus …
  3. Ich entscheide mich hier für die schwierigere Lesart (lectio difficilior), die vom Codex Bezae Cantabrigiensis (5. Jh.), und folgenden lateinischen Evangeliaren bezeugt wird: dem Vercelli Evangeliar (4. Jh.), einem Evangeliar in der Pariser Nationalbibliothek (5. Jh.) und einem Evangeliar aus dem Trinity College in Dublin (7. Jh.). Der Mehrheitstext liest »erfüllt von Mitleid«.
  4. Einige spätere Handschriften lassen diese Berührung hier aus.
  5. Das gleiche Verb, das Markus in 1,34 für das Hinauswerfen der Dämonen verwendet!
  6. Thomas Hieke: Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament: Levitikus. Erster Teilband: 1-15; Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2014, S. 473
  7. S. 474 a.a.o.
  8. Hanna Liss, Tanach – Lehrbuch der jüdischen Bibel, Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg 2011, S. 115
  9. Hieke, S. 491 a.a.o.

2 Gedanken zu „Zur Heilung des Aussätzigen in Mk 1, 39-45“

  1. Ist es nicht immer wieder so, dass die Auslassungen die wichtigsten (und vielleicht auch spannendsten) Teile einer zusammengestückelten Lesung sind?
    Ich denke hier an das Lob der tüchtigen Frau (im katholischen Gottesdienst viel rückständiger als im Original) oder an das Buch Rut, wo mehr als ein ganzes Kapitel ausgelassen wird.
    Warum haben ausgerechnet jene Fachleute, die für die Auswahl der Lesungen zuständig sind, so wenig Verständnis für die Aussage einer Lesung? (Bzw. warum sind ausgerechnet Leute, die nur wenig Verständnis für die Aussage einer Lesung haben, für die Auswahl der Lesungen zuständig?)

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