Was für eine Frage – wie soll es denn ohne sie gehen? Gerne wird in diesem Zusammenhang auf das von Jesus zitierte Tora-Wort verwiesen: »nicht vom Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort Gottes« (Lk 4,4; Mt 4,4; vgl. Dtn 8,3 – Ü: Elberfelder 1905) Doch es gibt ein berühmtes Gegenbeispiel.
Im Prolog zu seinem Lehrbuch über die Auslegung der Bibel (De doctrina Christiana) erzählt Augustinus von dem ägyptischen Mönch Antonius, »der gerühmt wird, dass er ohne irgendeine Kenntnis der Buchstaben die Heiligen Schriften durch Zuhören im Gedächtnis behalten und durch kluges Nachdenken verstanden habe« (MPL XXXIV, 17 – MÜ). Dieser Antonius ist natürlich niemand geringerer als der Vater des Mönchtums († um 356).
Der entscheidende Punkt bei Antonius war nach Augustinus allerdings nicht, dass er die Bibel nicht lesen wollte – er konnte es einfach nicht, weil er Analphabet war. Mit diesem Beispiel, auf dem man nach Augustinus nicht lange herumreiten muss, macht der Kirchenvater auf einen wichtigen Umstand aufmerksam:
Es hat immer und es wird immer Menschen geben, die die Bibel nicht lesen können, weil sie entweder keine haben, oder nicht in der Lage sind, sie selbst zu lesen. Aber: sie sollten die Gelegenheit haben, sie zumindest in der Kirche/im Gottesdienst zu hören. Von Antonius berichtet Athanasius in dessen Lebensbeschreibung, dass er auf Grund des Evangeliums, das er in der Kirche hörte, als Mönch in die Wüste ging.