Als die Inhaberin des ältesten und angesehensten Divinity-Lehrstuhls in den USA, Karen King, auf einer Konferenz von Koptologen in Rom am 18. September 2012 in unmittelbarer Nähe des Vatikans bekannt gab, sie habe einen antiken koptischen Papyrus entdeckt, auf dem Jesus Maria von Magdala als seine Ehefrau ansprach, war ein einziger Journalist im Raum: Ariel Sabar. Von ihm stammt das hier zu besprechende Buch, dass in umfangreicher Weise die Hintergründe der Affäre um „The Gospel of Jesus‘ Wife“ aufdeckt.
Der Hollis Divinity Chair, den Karen King innehatte, war nicht nur der älteste Lehrstuhl dieser Art in den USA – er war älter als die Vereinigten Staaten selbst, da er bereits 1720 von Puritanern gegründet wurde. Und Karen King war nicht irgend eine Professorin, sie war eine weithin anerkannte Wissenschaftlerin, der es durch zahlreiche öffentliche Vorträge und TV-Auftritte gelungen war, das Ergebnis ihrer Forschungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Ihr Spezialgebiet waren die nicht kanonischen Texte des frühen Christentums, in denen sie einen ganz anderen Zugang zur Rolle von Frauen, kirchlicher Autorität und ein Verständnis von Jesus fand, als in dem orthodoxen Christentum, das Männer wie Irenäus von Lyon vertraten und das sich letztendlich durchsetzte.
Auch wenn King betonte, dass das von ihr publizierte Fragment kein historischer Beweis dafür sei, dass Jesus verheiratet war, sah sie in dem Fragment die koptische Übersetzung eines griechischen Originals, das aus dem zweiten Jahrhundert stammen musste, als Clemens von Alexandria als erster Kirchenvater zu diskutieren begann, ob Jesus und die Apostel verheiratet waren. Sie sah die Gruppierung, die ihr Fragment hervorgebracht hatte, „im Gespräch“ mit anderen Christen, die andere Positionen vertraten. Außerdem passte das Fragment perfekt zu ihrer jahrzehntelangen Forschungsthese, dass ein frühes Christentum mit einem ganz anderen Zugang zu Sex und Gender existiert habe.
Peinlicherweise erwies sich das Fragment als Fälschung und beschädigte nicht nur irreparabel den wissenschaftlichen Ruf von King, sondern auch ihren Lehrstuhl, genauso wie die renommierte Harvard Theological Review, die wissenschaftliche Zeitschrift, in der King das Fragment publizierte und auch noch verteidigte, als die wissenschaftliche Community davon ausgehen musste, dass es gefakt war.
In Sabars Buch kann man die Entwicklung dieses Skandals zusammen mit der Biografie von King und dem Hersteller des Fragments ausführlich nachverfolgen. Leser und Leserinnen lernen wichtige Persönlichkeiten aus der wissenschaftlichen Szene kennen und können nachverfolgen, wie Papyri untersucht und bewertet werden (sollten). Das allein liest sich wie ein Krimi und führt einen in Gebiete, die man nicht für möglich gehalten hätte.
Aber gleichzeitig ist das Buch viel mehr: Es ist der Beweis, dass ein Journalist, der genügend Zeit und Geld für seine Recherchen bekommt, Fragen lösen und Geheimnisse aufdecken kann, in dem er akribisch fragt, interviewt, Auskünfte checkt und gegencheckt. Im Verlauf des Buches kommt es dabei zu einem Offenbarungseid der Divinity School von Harvard. Als Sabar King das Ergebnis seiner jahrelangen Recherche präsentiert, wie das Fragment wann und wo entstand, antwortete sie mit der Aussage, sie habe nicht gewusst, dass eine solche Provenienz-Forschung möglich sei.
Letztendlich geht es also um die Frage, ob es im Zusammenhang mit biblischen Fragestellungen so etwas wie Wahrheit als Ergebnis geben könne: das in einer Zeit, in der Geld und Ideologie von rechts und links den öffentlichen Diskurs prägen. Die Antwort, die das Buch gibt, ist zum einen hoffnungsvoll: Sabar beweist durch seine aufwendigen Recherchen, was eine historisch-kritische Forschung leisten kann. Was mir zu Denken gibt: Wer hat ein Interesse daran, dass diese Rückfragen und Untersuchungen weiterhin möglich sein werden?
Wenn Sie Englisch können und an den historischen Fragestellungen zur Bibel interessiert sind, dann lesen Sie dieses Buch.