Brief an Dr. Laura Schlessinger

Für Netznomaden bereits ein alter Hut – aber ein schönes Beispiel, wohin es führt, wenn man die notwendige Auslegung der biblischen Texte nicht beachtet.  Die amerikanische Radiomoderatorin Laura Schlessinger hatte Ende der 90er Jahre unter Berufung auf Lev 18,22 während einer Sendung gesagt, dass Homosexualität vor Gott ein Gräuel (engl. abomination) und daher in keinem Fall akzeptabel sei (vgl. auch Lev 20,13). Ein bis heute unbekannt gebliebener Anonymus verfasste daraufhin einen offenen Brief als Antwortschreiben, der im angelsächsischen Raum große Bekanntheit erlangte und sich vor allem im Internet ausbreitete.

»Liebe Dr. Laura! Danke, dass Sie sich so bemühen, Menschen zu lehren das Gesetz Gottes zu beachten. Ich habe eine Menge von Ihrer Sendung gelernt und ich versuche, dieses Wissen mit so viel Menschen wie möglich zu teilen. Wenn zum Beispiel jemand versucht, einen homosexuellen Lebensstil zu verteidigen, erinnere ich ihn einfach daran, das Lev 18,22 ganz klar sagt, dass das ein Gräuel ist – Ende der Debatte. Dennoch brauche ich einige Ratschläge von Ihnen, die spezifische Gebote und ihre Erfüllung betreffen.

a) Wenn ich einen Stier auf dem Altar als Opfer verbrenne, dann weiß ich, dass das für den Herrn einen Wohlgeruch hervorbringt (Lev 1,9). Das Problem sind meine Nachbarn: Sie behauptet, dass der Geruch ihnen nicht wohl tut. Soll ich sie erschlagen?

b) Ich würde gerne meine Tochter in die Sklaverei verkaufen, wie es durch Ex 21,7 erlaubt wird. Was denken Sie, wäre in den heutigen Zeiten ein fairer Preis für sie?

c) Ich weiß, dass es mir nicht erlaubt ist, mit einer Frau Verkehr zu haben, wenn sie gerade in den Tagen ihrer Menstruation und unrein ist (Lev 15,19-24). Aber wie spreche ich dieses Problem an? Ich habe versucht, danach zu fragen, aber die meisten Frauen werten das als Belästigung.

d) Lev 25,44 gesteht mir in der Tat zu, sowohl männliche als auch weibliche Sklaven zu besitzen, unter der Voraussetzung, dass sie von benachbarten Völkern stammen.  Ein Freund vom mir behauptet, dass das für Mexikaner gelten würde, aber nicht für Kanadier. Können Sie mich bitte aufklären? Warum darf ich keine Kanadier besitzen?

e) Ich habe einen Nachbarn, der darauf besteht, am Sabbat zu arbeiten.  Ex 35,2 sagt klipp und klar, dass er hingerichtet werden soll. Bin ich jetzt moralisch verpflichtet, ihn selbst zu töten?

f) Ein Freund von mir meint, obwohl es ein Gräuel ist, Schalentiere zu essen (Lev 11,10), sei es ein geringeres Gräuel als Homosexualität. Ich bin damit nicht einverstanden. Können Sie das schlichten?

g) Lev 21,20 bestimmt, dass ich mich dem Altar Gottes nicht nähern darf, wenn ich ein Augenleiden habe. Ich muss gestehen, dass ich eine Brille trage. Muss ich über eine 100% Sehkraft verfügen, oder gibt es hier einen Spielraum?

h) Die meisten meiner männlichen Freunde lassen sich die Haare schneiden, einschließlich der Haare um ihre Schläfen, obwohl das durch Lev 19,27 ausdrücklich verboten ist. Wie sollen sie sterben?

i) Ich weiß aus Lev 11, 6-8 dass es mich unrein macht, die Haut eines toten Schweins zu berühren. Darf ich trotzdem Fußball spielen, wenn ich Handschuhe trage?

j) Mein Onkel hat einen Bauernhof. Er verstößt gegen Lev 19,19, indem er zwei verschiedene Getreidesorten auf dem gleichen Feld anpflanzt. Genauso verstößt seine Frau gegen diese Stelle, indem sie Kleidung trägt, die aus zwei verschiedenen Fasern gemacht ist (Baumwolle und Polyester). Außerdem neigt er dazu, eine Menge zu fluchen und zu lästern. Ist es wirklich notwendig, dass wir uns die große Mühe antun, das ganze Dorf zu versammeln, um sie zu steinigen (Lev 24,10-16). Können wir sie nicht einfach in einer kleinen, privaten Familienfeier verbrennen – so wie wir das bei Inzucht auch machen (Lev 20,14)?

Ich weiß, dass Sie diese Dinge intensiv studiert haben – deshalb vertraue ich darauf, dass Sie helfen können. Danke nochmals, dass Sie uns erinnert haben, dass Gottes Wort ewig und unwandelbar ist. Ihr ergebener Jünger und bewundernder Fan.«

Natürlich weiß jeder, der sich mit Levitikus ein wenig auseinandergesetzt hat, dass diese Beispiele haarsträubend gewählt sind, wenn zum Beispiel der Eindruck erweckt wird, dass außerhalb des Tempels und dazu von jedem Menschen geopfert werden konnte (Beispiel a und g). Aber genau das ist ja der Punkt: dieser Brief treibt ironisch auf die Spitze, was passiert, wenn man sich kontextlos und ohne Kenntnis der Auslegungstradition einen  Vers aus der Schrift holt und dann behauptet: »die Bibel sagt ….«

Nach meiner Beobachtung gibt es (im Internet) zwei gängige Reaktionen auf diesen »Brief an Dr. Laura«: im amerikanischen Raum wird er oft als Beweis dafür zitiert, dass Bibeltexte eigentlich nur von Idioten ernst genommen werden können. Im christlichen Bereich wird gerne nach dem Motto reagiert: »geht mich nichts an – das ist ja aus dem Alten Testament, in dem bekanntlich eine Menge merkwürdiger Dinge stehen.« Leser und Leserinnen dieses Blogs wird es nicht überraschen, dass ich mich beiden Meinungen nicht anschließen kann.

Ein Gedanke zu „Brief an Dr. Laura Schlessinger“

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