Bei der Lektüre von Arno Borst: „Der Turmbau zu Babel“ wurde ich auf folgende Passage im Psalmenkommentar von Augustinus aufmerksam:
Enarrationes in Psalmos – Aus der Auslegung zu Psalm LVI
(9) Der Schmach übergab Er, die mich zertraten. [Die ihn zu Boden getreten haben, die seine Tod verlangten, die ihn als Menschen kreuzigten, weil sie ihn nicht als Gott erkannten, übergab Er der Schmach. Seht zu, ob das nicht eine Tatsache ist: Nicht als Zukünftiges glauben wir es, sondern als Geschehenes erkennen wir es an.] Es rasten die Juden gegen Christus. [Gegen Christus erhoben sie sich in Hochmut.] Wo? In der Stadt Jerusalem. [Wo sie nämlich herrschten, dort waren sie vor Stolz aufgeblasen, dort erhoben sie ihre Nacken. Nach dem Leiden des Herrn wurden sie dort ausgelöscht, und sie verloren das Königreich, in dem sie Christus nicht als Herrscher anerkennen wollten.] Betrachtet, wie sie der Schmach übergeben wurden: Zerstreut wurden sie unter alle Völker, niemals Ständigkeit, niemals einen gesicherten Sitz habend. Dazu aber sind die Juden noch immer da, dass sie unsere Bücher tragen, zu ihrer Beschämung. Wann wir nämlich beweisen wollen, dass Christus vorausverkündet wurde, dann legen wir den Heiden diese Bücher vor. [Und damit nicht vielleicht die Ungläubigen sagen, dass wir Christen diese Bücher verfasst hätten, sodass wir mit dem Evangelium, das wir predigen, die Propheten erdichtet hätten, durch die dann vorausgesagt erscheine, was wir predigen: Dadurch überzeugen wir sie, dass alle jene Schriften, durch die Christus vorhergesagt ist, bei den Juden sind. Alle diese Schriften haben die Juden.] Wir legen die Bücher von Feinden vor, um andere Feinde zu widerlegen. [In welcher Schmach also befinden sich die Juden? Der Jude trägt das Buch, durch das der Christ zum Glauben kommt.] Unsere Buchträger sind sie geworden, wie die Sklaven hinter den Herren her die Bücher zu schleppen pflegen. [Damit die einen (=die Juden) durch das Tragen dahinschwinden, und die anderen (= die Christen) durch das Lesen Fortschritte machen. Auf diese Weise wurden die Juden der Schmach anheimgegeben.] Es wurde erfüllt, was so lange vorher prophezeit worden war: Der Schmach übergab Er sie, die mich zertraten. Welche Schmach aber ist es, Brüder, dass sie diesen Vers lesen und selber blind in ihren Spiegel schauen. So nämlich erscheinen die Juden in der Heiligen Schrift, die sie tragen, wie eines Blinden Antlitz im Spiegel erscheint: Von anderen wird es gesehen, von ihm selbst wird es nicht gesehen.
(Die Übersetzung stammt von Hans Urs von Balthasar. In eckigen Klammern stehen die Verse, die Balthasar 1936 als redundant ausgelassen hat – hier ist die Übersetzung von mir. Wer das lateinische Original hinzuziehen möchte, wird hier fündig, in der Spalte 666.)