In der Legenda aurea heißt es, dass Christophorus ursprünglich Reprobus (lat.: »der Verworfene«) geheißen habe, 12 Ellen groß gewesen sei (das dürfte ungefähr 6 Metern entsprechen) und im Laufe seines Lebens das Christus-Kind durch einen Fluss getragen habe, bevor er das Martyrium erlitt. Abgerundet wird das Ganze mit einem freie erfundenen Ambrosius-Zitat. Die (immer weiter ausgeschmückte) Legende ist in zahllosen Darstellungen erhalten geblieben, Christophorus zählt zu den »Vierzehn Nothelfern« und erfreut sich im deutschen Sprachraum nach wie vor großer Bekanntheit. Aber: Hat diese Legende auch einen realen Kern?
Kritik der Reformatoren
Massive Kritik an ihr übten die Reformatoren, Philipp Melanchthon 1 schrieb 1531 über sie: »So sind doch noch greulicher und hässlicher gewesen die vielen Fabeln und Lügen der Legenden von Heiligen, welche man öffentlich gepredigt. (…) St. Christophorum, welcher auf deutsch heißt Christträger, hat einst ein weiser Mann den Kindern in solcher großen Länge malen lassen und hat wollen anzeigen, dass eine größere Stärke, denn Menschenstärke ist, in denjenigen sein müsse, die Christum sollen tragen, die das Evangelium predigen und bekennen sollen. Denn sie müssen durch das große Meer bei Nacht waten usw., das ist, allerlei große Anfechtung und Gefahr ausstehen. Da sind danach die tollen, ungelehrten, heillosen Mönche zugefahren und haben das Volk also gelehrt, den Christophorum anzurufen, als sei vorzeiten ein solch großer Riese leiblich vorhanden gewesen, der Christum durchs Meer getragen habe.« (Aus der Apologie der Confessio Augustana zu Artikel XXI)
Roberto Kardinal Bellarmino
Bemerkenswerterweise bestritt Melanchthon nicht einmal die Existenz eines Heiligen namens Christophorus, aber er polemisierte gegen die mit seiner Person nachträglich verbundenen Legenden. Roberto Kardinal Bellarmino 2, reagierte auf diese Kritik Melanchthons mit den Worten: »Ich erwidere, dass zwar manche Geschichten der Heiligen apokryph und unsicher sind, dass jedoch die Heiligen selbst es niemals waren. (…) Daher zählt Papst Gelasius durch einen Canon der Distinctio 15 „Sancta Romana“ 3 die Geschichte des Heiligen Georg zu den Apokryphen, und bestätigt trotzdem die Verehrung dieses Georg, obgleich die (Heiligen)Geschichte apokryph war, wie sich damals herausgestellt hat. Jedoch ist der Brauch der Universalkirche nicht apokryph, wo das Gedächtnis eines Georgs, eines Christophorus und einer Katharina immer weit verbreitet war.« (Bellarmino, Opera Omnia Band II, S. 461 MÜ)
Das Urteil der »Acta Sanctorum«
Vernichtend fällt 1868 die Kritik der Bollandisten 4 in den »Acta Sanctorum« aus:
»Wenn es aber gestattet sein sollte, dem Urteil anderer auch unseres hinzuzufügen, so sagen wir, dass diese (Christophorus)Akten von uns geradewegs als unsicher und apokryph zurückgewiesen werden. 1. In vielem machen sie Fehler, wie es an verschiedenen Stellen in diesem Kommentar gezeigt worden ist. 2. Sie sind mit unerwarteten und völlig inszenierten Ereignissen und albernen Gesprächen vollgestopft. 3. Schließlich, um mich in allem kurz zu fassen, ihr (= gemeint: der Akte) ganzes Ebenmaß ist aus schlecht zusammenhängenden Teilen zusammengesetzt und deshalb weit davon entfernt, die wunderlichen Dinge, die es erzählt, passend und glaubwürdig zu begründen.
(Weiters) ist es weit davon entfernt, den Andersgläubigen Gelegenheit zu bieten, gegen die Existenz des Heiligen anzukämpfen, als wäre sie eine bloß vorgestellte und fabulierte, der man eine so imaginäre und märchenhafte Geschichte andichtet. (Acta Sanctorum XXXIII, Band VI zum Juli, S. 146; MÜ)
Die römische Ritenkongregation 1969
Unter ausdrücklicher Berufung auf die Arbeit der Bollandisten heißt es in dem Dokument »Calendarium Romanum« vom 21. März 1969 – also zur Zeit des Pontifikats von Papst Paul VI.: »Zu einer historischen Beurteilung der einzelnen Heiligen hat die hagiographische Wissenschaft sehr viel beigetragen, die seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts mit Hilfe archäologischer Studien große Fortschritte gemacht hat. (…) Bei der Neuordnung des Kalenders wurden diese Arbeiten und Studien notwendigerweise ausgiebig benützt. Die Christen unserer Zeit möchten ja ihre Heiligenverehrung durch die historische Wahrheit absichern, was durchaus angemessen ist.« (Nachkonziliare Dokumentation Band 20; Hg. von den Liturgischen Instituten in Salzburg, Trier, Zürich S. 115)
Konsequenz des historischen Befundes war, dass neben einigen anderen auch Christophorus aus dem römischen Kalender gestrichen wurde. »Wenn die Hagioraphen auch nicht beweisen können, dass diese Heiligen nie gelebt haben, können sie doch keine genauen historischen Grundlagen für ihre Verehrung erbringen.«
Regionalkalender für das deutsche Sprachgebiet 1972
Bei der Neuordnung der Eigenkalender für das deutsche Sprachgebiet blieb Christophorus (als nicht gebotener Gedenktag am 24. Juli) erhalten. „Begründung“: »Er zählt zu den 14 Nothelfern und ist heute noch einer der beliebtesten Volksheiligen«. (Nachkonziliare Dokumentation, Band 29 S. 163)
Fazit
Ein Märtyrer namens Christophorus hat sicherlich in der Antike gelebt. Aber er hat überhaupt nichts mit den später mit seinem Namen verbundenen Legenden zu tun. Der römische Kalender hat die Konsequenz aus diesem Befund gezogen, und den Tag gestrichen. Im deutschen Sprachraum wollte man diesen Schritt mit Rücksicht auf die Volksfrömmigkeit nicht machen.