Errötende Hebammen und zwitschernde Vögel

Beim letzten Arbeitskreis »Rabbinen und Kirchenväter« lasen wir Origenes und kamen zu seiner Auslegung von Ex 1,15:

וַיֹּ֙אמֶר֙ מֶ֣לֶךְ מִצְרַ֔יִם לַֽמְיַלְּדֹ֖ת הָֽעִבְרִיֹּ֑ת אֲשֶׁ֨ר שֵׁ֤ם הָֽאַחַת֙ שִׁפְרָ֔ה וְשֵׁ֥ם הַשֵּׁנִ֖ית פּוּעָֽה׃

Und der König von Ägypten sprach zu den hebräischen Hebammen, von denen der Namen der einen Schifrah und der Namen der anderen Puah war.

Die LXX liest:

καὶ εἶπεν ὁ βασιλεὺς τῶν αἰγυπτίων ταῖς μαίαις τῶν εβραίων τῇ μιᾷ αὐτῶν ᾗ ὄνομα Σεπφωρα καὶ τὸ ὄνομα τῆς δευτέρας Φουα
Und der König der Ägypter sagte zu den Hebammen der Hebräer – der Namen der einen von ihnen war Sepphōra und der Namen der anderen Phūa …

Aus der Auslegung des Origenes

Die in der lateinischen Übersetzung Rufins erhalten gebliebenen Exodus-Homilien des Origenes bieten eine eigenwillige Deutung der beiden Hebammen und ihrer Namen:

Iste etiam obstetrices 1 corrumpere aggreditur, et per ipsas implere quod desiderat, quarum etiam nomina nobis per provisionem Spiritus sancti, qui hæc scribi voluit, indicantur. Sephora, inquit, una, quæ interpretatur passer; et Phua, quæ apud nos vel rubens, vel verecunda dici potest. Per has igitur necari mares et vivificari sola feminas quærit.
Sed quid dicit Scriptura? «Et timebant, inquit, obstetrices Deum, et non fecerunt sicut præcepit eis rex Ægypti.» Istas obstetrices dixerunt ante nos quidam, rationabilis eruditionis formam tenere. 2 (In Exodum Homilia II, 1-2)

»Jener [= Pharao] machte sich daran, auch die Hebammen zu verleiten, und durch sie zu vollbringen, was er wünschte, deren Namen uns auch durch die Voraussicht des Heiligen Geistes bekanntgemacht werden, der wollte, dass dies geschrieben wird: Sephora die eine, was Spatz bedeutet; und Phua, was man bei uns entweder rötlich oder schamhaft nennen kann. Durch sie also bemühte er sich, die Knaben töten und nur die Frauen am Leben zu lassen.
Aber was sagt die Schrift? Aber die Hebammen fürchteten Gott, und taten nicht, wie ihnen der König von Ägypten befohlen hatte.(Ex 1, 17) Vor uns haben einige gesagt, dass jene Hebammen als Bild der vernünftigen Erziehung aufzufassen sind.« (Exodus Homilien, II, 1-2; MÜ)

Woher nimmt Origenes die Etymologie der Namen und die Deutung der Hebammenkunst? Nun, die Deutung der Namen verdankt er Philo, die der Hebammenkunst Platon.

Philo

ΧΧVΙ. ταύτας μοι δοκεῖ τὰς ἀρετὰς Μωυσῆς αἰνιξάμενος μαίας Ἑβραίων ὀνομάσαι Σεπφώραν τε καὶ Φουάν (Ex 1,15)· ἡ μὲν γὰρ ὀρνίϑιον, Φουὰ δὲ ἐρυϑρὸν ἑρμηνεύεται. τῆς μὲν οὖν ϑείας ἐπιστήμης ὄρνιϑος τρόπον τὸ αἰεὶ μετεωροπολεῖν ἴδιον, τῆς δὲ ἀνϑρωπίνης αἰδῶ καὶ σωφροσύνην ἐμποιεῖν, ὧν τὸ ἐρυϑριᾶν ἐφ’ οἷς ἄξιον 3 (Περί του τίς ὁ τῶν θείων εστιν κληρόνομος 128)

»16. Mir scheint, dass Moses diese wertvollen Eigenschaften dunkel andeutet, wenn er Sepphṓra und Phūà, die hebräischen Hebammen nennt (Ex 1,15). Denn die eine wird als „Vögelchen“, Phūà aber als „rötlich“ gedeutet. Es ist in der Tat der göttlichen Weisheit eigen, sich immer nach Art des Vogels in der Höhe zu bewegen, aber der menschlichen (Weisheit ist es eigen), Scham und Selbstbeherrschung zu bewirken, um darüber zu erröten, was dessen wert ist.« (Wer ist der Erbe des Göttlichen? 128; MÜ)

Auch wenn die Herkunft der Etymologie geklärt ist, verbleibt sie dennoch unbefriedigend: weder das Hebräische noch das Griechische geben eine solche Deutung wirklich her. Vielleicht hat Migne recht, der eine Verwechslung von שִׁפְרָה (Schifrah – Wurzel שׁפר) mit צִפֹּרָה (Zipporah – der Frau des Moses – Wurzel צפר) vermutet. zpr bedeutet zwitschern und hat wirklich etwas mit einem Vogel (צׅפּוֺר) zu tun. Aber das Erröten und Puah bringe ich nicht zusammen. (Siehe jetzt aber den Nachtrag weiter unten)

Platon

Im Dialog Theaitetos sagt Sokrates über seine Hebammenkunst:

τῇ δέ γ᾽ ἐμῇ τέχνῃ τῆς μαιεύσεως τὰ μὲν ἄλλα ὑπάρχει ὅσα ἐκείναις, διαφέρει δὲ τῷ τε ἄνδρας ἀλλὰ μὴ γυναῖκας μαιεύεσθαι καὶ τῷ τὰς ψυχὰς αὐτῶν τικτούσας ἐπισκοπεῖν ἀλλὰ μὴ τὰ σώματα.
»Von meiner Hebammenkunst nun gilt übrigens alles, was von der ihrigen; sie unterscheidet sich aber dadurch, daß sie Männern die Geburtshilfe leistet und nicht Frauen, und daß sie für ihre gebärenden Seelen Sorge trägt und nicht für Leiber.« (Theaitetos 150b; Ü: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher)

Ich behaupte, dass Origenes sich auf eben diese berühmte Platon-Stelle bezieht, wenn er die Hebammen aus Ex 1,15 als »Bild der vernünftigen Erziehung« deutet.

Nachtrag

Mittlerweile bin ich von Dr. Michael Margoni-Kögler auf diesen Eintrag bei Jastrow aufmerksam gemacht worden, der die Röte besser erklärt.

Stichwort Puah im Jastrow
Stichwort Puah im Jastrow

Ein Gedanke zu „Errötende Hebammen und zwitschernde Vögel“

  1. Urs P. Haller hat mir noch folgende ergänzende Beobachtung geschickt:

    Der babylonische Talmud (Sota 11b) geht ebenfalls auf Ex 1,15 ein und diskutiert diese Stelle wie folgt: »Da sprach der König von Miçrajjim zu den hebräischen Hebammen &c.« Rabh und Šemuél [streiten hierüber]; einer sagt, es war eine Frau und ihre Tochter, und einer sagt, eine Schwiegertochter und ihre Schwiegermutter. Nach demjenigen, welcher sagt, eine Frau und ihre Tochter, waren es Jokhebed und Mirjam, und nach demjenigen, welcher sagt, eine Schwiegertochter und ihre Schwiegermutter, waren es Jokhebed und Elišéba. Es gibt eine Lehre übereinstimmend mit demjenigen, der eine Frau und ihre Tochter sagt, denn es wird gelehrt: Šiphra (die in Ex 1,15 als eine der beiden Hebammen genannt wird) ist Jokhebed, und sie wird deshalb Šiphra genannt, weil sie das Kind putzte (mešapereth). Eine andere Erklärung: Šiphra [heisst sie deshalb], weil in ihren Tagen die Kinder Jisraél sich fruchtbarten (šeparu) und mehrten. Puá ist Mirjam, und sie wird deshalb Puá genannt, weil sie redete (Bem. das Rufen und Einreden auf die Wöchnerin galt als Beruhigungsmittel bei der Geburt) (poá) und das Kind hervorbrachte. Eine andere Erklärung: Puá [hiess sie deshalb], weil sie durch den heiligen Geist redete und sprach: Meine Mutter wird ein Kind gebären, das Jisraél erlösen wird. (aus: Der babylonische Talmud, neu übertragen durch L. Goldschmidt, Bd. 6, S. 43, Berlin 1932). Natürlich können, so ibn Esra, die zwei Hebammen nicht für das ganze Volk gereicht haben. Sie werden wohl eine Metapher für die Ehre dieses Liebeswerkes darstellen.

    Auffallend ist auch, dass es an dieser Stelle nicht »Pharao« heisst, sondern »der König von Ägypten«, was offenbar stets mit besonderem Bedacht geschieht (vgl. auch Ex 6,13 ff)

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