Der Vorhang im Tempel II

Ich habe hier noch interessante Quellen zum Vorhang entdeckt. Im ersten Teil des Artikels die Zusammenfassung für eilige Leser, im zweiten Teil für Interessierte ausführlich die Quellen.

Mischna

In der Mischna wird die Produktion des Vorhangs detailliert beschrieben, auffällig sind die vielen Zahlworte. Bemerkenswert ist die Angabe, dass der Vorhang von 82 jungen Mädchen angefertigt wurde, die jedes Jahr zwei Exemplare herstellten.

Jerusalemer Talmud

Auch der Jerusalemer Talmud spricht von 82 Mädchen, die den Vorhang machten.

Protoevangelium des Jakobus

Samuel Krauss vohttps://auslegungssache.at/3668/der-vorhang-im-tempel-ii/?preview=truen der jüdisch-theologischen Lehranstalt in Wien, meiner Stadt, hat meines Wissens vor einhundert Jahren als Erster erkannt, dass das christliche Proto-Evangelium des Jakobus dieses Motiv von den jungen Frauen im Tempel, die den Vorhang herstellen, aufgreift. Dort geht Maria, die Mutter Jesu, in den Tempel, um am Vorhang mitzuarbeiten. Im Zug ihres Aufenthaltes kommt es dann im Jakobus-Evangelium zur Verkündigung.

Aber das ist noch nicht alles ….

Zu den Quellen:

רבן שמעון בן גמליאל אומר משם רבי שמעון בן הסגן, פרוכת עובייה טפח, ועל שבעים ושניים נימין נארגת, על כל נימא ונימא ארבעה ועשרים חוטין, אורכה ארבעים אמה, ורחבה עשרים אמה, ומשמונים ושתים ריבות נעשת, ושתיים עושין בכל שנה, ושלוש מאות כוהנים מטבילין אותה

»R. Schimeon b. Gamliel sprach im Namen von Rabbi Schimon ben HaSegan (dem Anführer der Priester): der Vorhang, seine Breite war eine Handbreite, und über 72 Schnüre gewoben, und über jede Schnur und Schnur waren 24 Fäden (= jede Schnur bestand aus 24 Fäden). Seine Länge war 40 Ellen, seine Breite 20 Ellen. Und (von) zweiundachtzig jungen Mädchen wurde (er) gemacht, und zwei machte man in jedem Jahr, und dreihundert Priester tauchten ihn ein.« (mShek 8,5; MÜ)

Die Lesart dieser Stelle ist umstritten, wie ein Blick in den Jastrow zeigt. So las man statt ריבות (jungen Frauen) ריבוא (Myriaden). Hier der entsprechende Abschnitt:

Jastrow, Eintrag ריבוא
Jastrow, Eintrag ריבוא

Diese Lesart erklärt den Kommentar des Jeruschalmi zur Stelle:

בשמונים ושתים ריבוא היתה נעשית וכו‘: ר‘ יצחק בר ביזנא בשם שמואל גוזמא

»Mit Zweiundachtzig (mal) Zehntausend 1 entstand er (der Vorhang), er wurde gemacht usw.« 2 Rabbi Jichzak bar Bizna im Namen Schmuels: »Eine Übertreibung!« (pShek 8:2; MÜ)

Mit anderen Worten: schon zur Zeit des Jerusalemer Talmud wollte man keine Frauen im Tempel mehr haben. Aber die Lösung mit den 82 „Myriaden“ war nicht wirklich überzeugend ….

᾿Εγένετο δὲ συμβούλιον τῶν ἱερέων λεγόντων: ποιήσωμεν καταπέτασμα τῷ ναῷ κυρίου. καὶ εἶπεν ὁ ἱερευς: καλέσατέ μοι ὧδε ἑπτὰ παρθένους ἀμιάντους ἐκ φυλῆς Δαυίδ. καὶ ἀπῆλθον οἱ ὑπηρέται καὶ εὕρησαν ἑπτά (εὗρον ἕξ). καὶ ἐμνήσθη ὁ ἱερεύς, ὅτι Μαρία ἐκ φυλῆς Δαυίδ ἐστι καὶ ἀμίαντός ἐστιν. καὶ ἀπῆλθαν οἱ ὑπερέται καὶ ἤγαγον αὐτήν. καὶ εἰσήγαγαν αὐτάς ὁ ἱερεὺς ἐν τῷ ναῷ κυρίου καὶ εἶπεν: λάχετέ μοι ὧδε, τίς νήσει τὸ χρυσίον καὶ τὸ ἀμίαντον καὶ τὸ βύσσινον καὶ τὸ σηρικοῦν καὶ τὸ ὑάκινθον καὶ τὸ κόκκινον καὶ τὴν ἀληθινὴν πορφύραν. καὶ ἔλαχεν τὴν Μαριὰμ τὸ κόκκινον καὶ ἡ ἀκηθινὴ πορφύρα. καὶ λαβοῦσα ἀπῆλθεν εἰς τὸν οἶκον αὐτῆς. τῷ δὲ καιρῷ ἐκείνῳ Ζαχαρίας ἐσίγησεν. Μαριὰμ δὲ λαβοῦσα τὸ κόκκινον ἔκλωσεν.

»Es geschah aber eine Beratung der Priester, die sagten: „Wir müssen einen Vorhang machen für den Tempel des Herrn.“ Und es sagte der Priester: „Ruft mir die reinen Jungfrauen aus dem Stamme Davids.“ Und es gingen davon die Diener und suchten und fanden sechs [sieben]. Und es erinnerte sich der Priester des Kindes Maria, dass sie war aus dem Stamme Davids und rein vor Gott. Und es gingen davon die Diener und führten sie her. Und sie führten sie hinein in den Tempel des Herrn. Und es sprach der Priester: „Lost mir hier, wer verweben soll das Gold, das Reine (unbefleckte, Amiant), das feine Leinen (Bussion), die Seide (Sirikoun), das Blaue (Hyakinthon), das Scharlachrot (Kokkinon) und das wahre Purpur (Porphuran).“ Und sie wählten Maria für das wahre Purpur und das Scharlach. Und sie nahm es und ging in ihr Haus. Aber in jener Zeit verstummte Zacharias. Und Maria nahm das Scharlach und spann.« (Protoevangelium des Jakobus 10; Ü: Wieland Wilker)

Nachtrag:

Hier noch ein Nachtrag zu den jungen Frauen, die den Vorhang im Tempel gemacht haben. In der Homilie 26 der Persiqta Rabbati 3 findet sich folgende Aussage:

כשראו הכהנים והלוים שנשרף בית המקדש נטלו את הכינורים ואת החצוצרות ונפלו באש ונשרפו. כשראו הבתולות שהיו אורגות בפרוכת שנשרף ביהמ׳׳ק נפלו באש ונשרפו שלא יענו אותן השונאים.

»Als die Priester und Leviten sahen, dass das Haus des Heiligtums verbrannt wurde, legten sie die Zithern und die Trompeten weg und warfen sich ins Feuer und sie wurden verbrannt. Als die Jungfrauen sahen, die den Vorhang gewoben hatten, dass das Haus des Heiligtums verbrannt wurde, warfen sie sich ins Feuer und sie wurden verbrannt, damit die Feinde sie nicht vergewaltigten.« (PesR 26; MÜ)

Fortsetzung

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  1. Zur Unterstützung der Ansicht, dass die Lesart רִיבּוֹא (zehntausend) falsch ist und ursprünglich רִיבוֹת (junge Frauen) zu lesen war, vgl. bKeth 106a; Saul Liebermann: Hellenism in Jewish Palestine S. 167 f.; Samuel Krauss: FS zu Ehren des Dr. Harkavy, S. 62
  2. Zitat aus der Mischna Shek 8:2, die hier kommentiert wird.
  3. Über die Sonderrolle dieser ‚Homilie‘ im Gesamtzusammenhang der PesR siehe Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch8 S. 295