Wann begann die Vokalisierung der hebräischen Bibel?

Masoretische Beobachtungen III

Um die Leistung der Masoreten würdigen zu können, ist ein Blick auf einen der ältesten erhaltenen griechischen Texte hilfreich, es handelt sich um den sog. Nestorbecher von Ischia

Der sog. Nestor Becher
Der sog. Nestor Becher

Rudolf Pfeiffer schreibt in seiner Geschichte der klassischen Philologie dazu: »Der hexametrische Versgraffito von etwa 700 v. Chr., der in Ischia gefunden wurde, ist gegenwärtig die älteste mir bekannte Inschrift, die Interpunktionszeichen enthält.« (S. 222)

Doch schon früher hatten die Griechen mit der Erfindung ihres Alphabets, das sie aus der phönizischen Schrift weiterentwickelten, einen Quantensprung gemacht: Sie verfügten in ihrer Schrift nicht nur über Konsonanten, sondern sie notierten erstmals auch die Vokale. Pfeiffer setzt die Einführung des griechischen Alphabets im neunten oder achten Jahrhundert v. Chr. an.

Ganz anders sieht es bei den hebräischen Bibelhandschriften aus. Hier wurde nur ein Konsonantenkontinuum notiert. Das änderte sich erst durch die Masoreten, die den Text vokalisierten. Wann war das?

Talmudim

Zwei Beobachtungen sind hilfreich. Aron Dotan schreibt im Artikel »Masorah« in der Encyclopaedia Judaica: »Im Jerusalemer Talmud (der in der ersten Hälfte des 5. Jh. vollendet wurde) und im Babylonischen Talmud (der am Ende des 5. Jh. vollendet wurde) gibt es keine Erwähnung von Vokal- und Akzentzeichen. Gleicherweise werden sie auch nicht in den frühsten Midraschim erwähnt.« (2. Auflage, XIII, S. 604 MÜ)

Hieronymus

Hieronymus schreibt in seinem Kommentar zum Propheten Habakuk bei der Auslegung von Hab 3,5: »Vor seinem Angesicht wird der Tod gehen: und der Teufel wird vor seinen Füßen hinausgehen. LXX: Vor seinem Angesicht wird ein Wort gehen, und es wird hinter seinen Füßen auf ein Feld hinausgehen. Für das, was wir als Tod übersetzen, stehen im Hebräischen drei Buchstaben ohne irgendeinen Vokal: Daleth, Beth, Resch (דבר). Sie bedeuten, wenn sie als dabar gelesen werden, Wort. Wenn deber (aber bedeuten sie) Seuche.« (MPL XXV 1314 MÜ)

Daraus lässt sich folgern, dass die systematische Vokalisierung des hebräischen Textes um 600 n. Chr. begonnen wurde – ein Beispiel ihrer Vollendung ist der Codex Leningradensis.

Fortsetzung

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