Treue oder Glauben II

Ich habe mir jetzt einmal zentrale paulinische Aussagen zu diesem Thema angesehen. Was auf den ersten Blick wie eine grammatikalische Spitzfindigkeit wirkt, hat es theologisch in sich.

Letzten Sonntag war in meiner katholischen Kirche folgender Vers Teil der zweiten Lesung: »Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus (dià písteōs Iēsũ Christũ), sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben (eis Christòn Iēsũn episteúsamen), damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus (ek písteōs Christũ) und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht.« (Gal 2,16 EÜ)

Ich will hier argumentieren, warum ich diese Übersetzung für falsch halte, obwohl sie in den meisten gängigen Bibelausgaben vertreten wird.

Welcher Genitiv?

Grammatikalisch entscheidend ist die Frage, um welchen Genitiv es sich bei ek písteōs Christũ handelt. Bezieht er sich auf ein Objekt (»an Christus glauben«) oder auf ein Subjekt (»die Treue des Messias«)1.

Theologisch gefragt: steht der Mensch im Zentrum – er ist der, der an Christus glaubt. Oder steht der Messias im Zentrum: seine Treue ist es, die rettet. Ich plädiere hier für die christozentrische Übersetzung. Demnach wäre Gal 2,16 so zu lesen:

»Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch die Treue des Messias Jesus, sind auch wir dazu gekommen, dem Messias Jesus zu vertrauen, damit wir durch die Treue des Messias gerecht werden und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht.

Ich will diese Übersetzung durch den Kontext untermauern.

Septuaginta

Die Bibel des Paulus ist die griechische Übersetzung des alexandrinischen Judentums. Der Schlüsselvers für unsere Frage ist ohne Zweifel Hab 2,42: Ho dè díkaios ek písteōs mu zēsetai – »aber der Gerechte wird durch meine Treue leben«. Das Personalpronomen »meine« hat die LXX hinzugefügt, um klar zu machen, dass es die Treue Gottes ist – und nicht die des Menschen, die den Gerechten leben lässt3.

Das zweite Textbeispiel ist Ps 115,1 LXX – das entspricht Ps 116,10 in heutigen Bibelausgaben. Paulus zitiert den Vers in 2 Korinther 4,134: »Ich vertraute, daher habe ich geredet.« Ich meine, dass Paulus den Psalm christologisch liest. Weil Jesus Gott vertraute, der ihn aus dem Tod errettete, können auch die Christen aus diesem Geist des Vertrauens leben: »Denn wir wissen, dass der, welcher Jesus, den Herrn auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken (…) wird« (2 Kor 4,14 EÜ).

Corpus Paulinum

Folgende Stellen sollten meiner Meinung nach analog übersetzt werden, auch hier ergibt der auf das Subjekt bezogene Genitiv den Sinn besser wieder:

Röm 3,3: Dass aber einige nicht treu waren, was liegt daran? Sollte ihre Untreue (apistía) Gottes Treue (tḕn pístin tũ theũ) aufheben? (Ü: Luther 1984)5

Röm 3,22: Gottes Gerechtigkeit aber durch die Treue des Messias Jesus (dià písteōs Iēsũ Christũ), für alle, die vertrauen. (MÜ)

Ich meine, dass sich das angemessen für folgende weitere Stellen durchführen lässt:

Röm 3,25-26; 4,16
Gal 2,20; 3,22
Phil 3,8-9
Eph 3,12

Fortsetzung

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  1. Weil Christus ein Titel ist, übersetze ich ihn als das, was er bedeutet: den Messias
  2. Paulus zitiert ihn in Röm 1,17 und Gal 3,11; ebenso der Hebräerbrief in 10,38
  3. Diese Übersetzung des Genitivs passt meiner Meinung nach viel besser, als die Variante der LXX Deutsch »der Gerechte aber wird aus dem Glauben an mich leben«. Ich halte sie für die Rückprojektion einer falschen Paulusübersetzung in die LXX.
  4. Kleine besserwisserische Anmerkung: Offensichtlich haben die Herausgeber der Septuaginta Deutsch nicht das »Vetus Testamentum in Novo« zur Stelle konsultiert: sie unterschlagen dieses wörtliche Zitat
  5. Ist doch bemerkenswert: Hier wird auf einmal mit »Gottes Treue« statt mit »den Glauben an Gott« übersetzt …

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