Priester = Götter?

In der katholischen Tradition werden Priester ausdrücklich als »Götter« bezeichnet. Woher das kommt, und was damit gemeint ist, soll dieser Beitrag erörtern. Vorab nur so viel: Es hat wieder einmal etwas mit der Septuaginta zu tun. 

Catechismus Romanus (1566)

Im Katechismus des Konzils von Trient heißt es unter der Überschrift: »Es gibt auf Erden keine erhabenere Würde als den Priesterstand« dann wie folgt:

»Zuerst muss daher den Gläubigen dargelegt werden, wie groß der Adel und die Erhabenheit dieses Standes sind, wenn wir nämlich seine höchste Stufe, d. i. das Priestertum betrachten. Denn da die Bischöfe und Priester gleichsam Gottes Dolmetscher und Botschafter sind, welche in seinem Namen die Menschen das göttliche Gesetz und die Lebensvorschriften lehren und die Person Gottes selbst auf Erden vertreten: so ist offenbar ihr Amt ein solches, dass man sich kein höheres ausdenken kann, daher sie mit Recht nicht nur Engel, sondern auch Götter genannt werden, weil sie des unsterblichen Gottes Kraft und Hoheit bei uns vertreten. Wiewohl sie aber zu jeder Zeit die höchste Würde behauptet haben, stehen doch die Priester des Neuen Bundes allen Übrigen an Würde weit voran; denn die Gewalt, sowohl den Leib und das Blut unseres Herrn zu wandeln und zu opfern, als auch Sünden nachzulassen, welche ihnen übertragen ist, übersteigt selbst die menschliche Vernunft und Fassungskraft, geschweige denn, dass etwas ihr Gleiches oder Ähnliches auf Erden gefunden werden könnte.« (II. Teil, 7. Kapitel, Vom Sakrament der Priesterweihe 2; die lateinische Fassung findet sich in dieser Ausgabe auf S. 259 ff.)

Hugo von St. Victor († 1141)

In seinem Werk De sacramentis christianae fidei, das in einer sehr guten Übersetzung von Peter Knauer SJ vorliegt, bespricht Hugo die Frage, ob die Priester, die doch Menschen sind, Sünden vergeben können. Er führt dazu aus:

»Nicht ich mache die Priester zu Göttern. Die göttliche Rede, die nicht lügen kann, macht die Priester zu Göttern. „Die Götter“, heißt es, „sollst du nicht schmähen und dem Fürsten deines Volkes nicht fluchen“.« (II, 14, 8; Ü: Peter Knauer; lateinische Fassung: MPL CLXXVI, 566) Das Zitat, das Hugo hier gebraucht, fand sich in seiner Bibel in Ex 22, 28, in der Einheitsübersetzung steht es (anderslautend) in Ex 22,27. Dazu weiter unten mehr. Die Idee, diesen Vers auf die Priester hin auszulegen, hatte Hugo von einem älteren Kirchenvater übernommen.

Papst Gregor der Große († 604)

In seinen zwei Büchern mit Predigten über den Propheten Ezechiel sagt der Papst zu Ez 1,24: »Und allerdings wird er in der Heiligen Schrift manchmal dem Namen nach, manchmal eigentlich dem Wesen nach „Gott“ genannt. Denn dem Namen nach wird er genannt, so wie geschrieben steht: Siehe, ich habe dich zu einem Gott für Pharao gemacht (Ex 7,1). Und so wie Moses sagt: Wer dieses oder jenes getan haben sollte – bring ihn zu den Göttern – selbstverständlich (ist gemeint) zu den Priestern (s. Ex 22,8 Vulgata). Und wiederum sagt er: Götter sollst du nicht lästern (Ex 22,28 Vulgata) – das bedeutet die Priester. Und so wie der Psalmist sagt: Gott trat in der Versammlung der Götter auf, und in (ihrer) Mitte hielt er Gericht über die Götter. (Ps 82,1 Vulgata). Dem Wesen nach wird er Gott genannt, so wie er selbst zu Mose spricht: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs (Ex 3, 6)« (MPL LXXVI, 854-855, MÜ)

Septuaginta und Vulgata

Für Gregor spielt die Kombination von Ex 22,8 und 22,28 die Rolle des Kronzeugen bei der Bezeichnung von Priestern als Göttern. Grund genug, sich beide Verse einmal genauer anzusehen. 1 Ich beginne mit Ex 22,8 nach dem masoretischen Text:

»Zu jedem Fall von Vergehen betreffend ein Rindvieh, einen Esel, Kleinvieh, Kleidung, jedes Verlorene, von dem einer sagen wird, dass dieses ihm gehört: zu dem Elohim soll kommen der Fall von ihnen beiden 2. Welchen sie für schuldig erklären werden Elohim, 3 er soll wiedererstatten zweifach für seinen Nächsten.« (MÜ)

Und der zweite Vers (Ex 22,28): »Elohim sollst du nicht verfluchen und einen Fürsten in deinem Volk sollst du nicht verwünschen.« (MÜ)

Elohim heißt Gott – und ist vom Hebräischen her eine Pluralform. Es kann in seiner einzahligen Bedeutung Verschiedenes bezeichnen: Gott als Gattungsbegriff (Ri 11,24!), aber auch den biblischen Gott, so dass Dtn 4,35 sagen kann: »JHWH allein ist der Elohim«. Aber: das Wort kann auch eine plurale Bedeutung haben, und der von Gregor angeführte Ps 82,1 bringt beide Formen in einem Vers! »Elohim steht auf in der Versammlung El’s, inmitten der Elohim wird er richten.« (MÜ) 4

Was macht die Septuaginta 5 aus den beiden Versen?

Ex 22,9: »Bei jedem angeführten Vergehen, wenn es um einen Jungstier und einen Esel und ein Schaf und einen Mantel oder um irgendein beanspruchtes Verlorenes geht, was immer es auch sei, soll die Rechtssache beider vor Gott kommen, und der durch Gott schuldig Gesprochene soll dem Nachbarn das Doppelte ersetzen.« (Ü: Septuaginta deutsch, die Unterschiede zur hebräischen Vorlage sind kursiv gesetzt.)

Ex 22,28: »Götter sollst du nicht lästern, und von den Anführern deines Volkes sollst du nicht übel reden.« Die LXX spricht also nur im zweiten Vers von Göttern. Die Vulgata aber übersetzt Elohim in beiden Versen mit Göttern.

Mekhilta de-Rabbi Jishma(el (Zweite Hälfte des 3. Jh.)

Wie lasen die Rabbinen diese Verse? In dem sehr alten Midrasch zum Buch Exodus heißt es zu Ex 22,28: »Die Schrift lehrt: Gott (Elohim) sollst du nicht verfluchen. (…) Rabbi Jishma(el sagt: Von Richtern spricht die Schrift. Es heißt ja: Dann soll der Streitfall der beiden vor die Richter (Elohim) kommen. (Ex 22,8)« (Ü: Günter Stemberger)

Fazit

Alle antiken Ausleger sind sich einig, dass in Ex 22 von Menschen gesprochen wird, 6 die im Namen Gottes Recht sprechen. Doch der komplexe sprachliche Befund und der Weg der Verse durch vier Sprachräume und mehrere Jahrhunderte bis zu unserer Zeit macht es meiner Meinung nach deutlich, dass die eingangs zitierte Aussage des Catechismus Romanus ohne die Kenntnis dieses Hintergrunds heute nur polytheistisch oder als anmaßend verstanden werden kann.

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  1. Um Verwirrung zu vermeiden: in unseren heutigen Bibelausgaben handelt es sich um die Verse Ex 22,8 und 27
  2. Gemeint sind hier der Kläger, der Anspruch erhebt, und der Beklagte, bei dem das umstrittene Gut vorgefunden wurde
  3. Vom Hebräischen her ist wohl gemeint: Welchen sie für schuldig erklären werden vor Elohim; man könnte aber auch so verdeutschen: welchen die Elohim für schuldig erklären werden
  4. Im Johannesevangelium spielt Christus diesen Befund als Argument aus – vgl. Joh 10,31-39
  5. In der LXX handelt es sich um die Verse Ex 22,9+28
  6. So in gewohnt nüchterner Weise auch Thomas: STh Iª-IIae q. 2 a. 4 arg. 1

Ein Gedanke zu „Priester = Götter?“

  1. Engel und Götter = das thematisiert auch die Mystik. Thomas von Aquin setzt den „sensus mysticus“ mit der Erkenntnisweise der Engel gleich. Erleuchtung! (der cherubische Weg). In der Mystik gibt es weiterhin die Lehre von der „Vergöttlichung“ , schon seit den Tagen Basilius des Großen. Thomas von Aquin definiert diese Vergöttlichung als „Teilhabe an der göttlichen Natur“ (der seraphische Weg). Diese Theologie ist auch in Schefflers “ Cherubischem Wandersmann“ enthalten, das Lebenswerk des Sandäus bzw. des Blosius widmet sich oft dieser Thematik. Priester sollten lt. mystischem Verständnis heilig (göttlich) leben und erleuchtet sein wie die Engel.

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