Die Septuaginta I

Die entscheidende Frage für jede Beschäftigung mit der Bibel ist die der Übersetzung. Dass wir die Bibel in (verschiedenen) Übersetzungen lesen können, verdanken wir dem griechisch sprechenden Judentum in der Diaspora. Doch dieses Projekt war nicht unumstritten. Darf man eine Heilige Schrift überhaupt übersetzen? Ist nicht jede Übersetzung die interpretative Verfälschung des heiligen Urtextes? Um Fragen wie diese zu beantworten, wurde das Projekt der ersten Bibelübersetzung mit einer Legende legitimiert.

Die Legende

Nach dieser Legende hätten 72 Männer (je 6 aus den 12 Stämmen Israels) – jeder für sich in einer Zelle – die hebräische Bibel in die griechische Sprache übersetzt. Als sie ihre Übersetzung verglichen hätten, sei zu aller Erstaunen ein gleich lautender Text entstanden. Das eigentliche Anliegen dieser Erzählung dürfte also die göttliche Legitimierung dieser Übersetzung der hebräischen Bibel sein.

Die genaue Zahl dieser sagenhaften Übersetzer wurde zwar nicht eindeutig überliefert – statt den 72 wurden auch 70 genannt – aber eine Zahl war es, die dem ganzen Vorgang einen Namen gab: Septuaginta ist das lateinische Wort für 70 – in lateinischer Schreibweise der Zahl also LXX.

Die Legende der Entstehung der Septuaginta geht auf den sog. Aristeas -Brief zurück, dessen (fiktive) Darstellung legendarisch ausgeschmückt wurde. Hieronymus wusste das, und so schrieb er im Vorwort zu seiner Pentateuch-Übersetzung:

»Ich weiß nicht, wer als erster Autor die siebzig kleinen Zellen Alexandrias aufgebaut hat, in denen verteilt die Siebzig dasselbe zusammenschrieben; obwohl Aristeas (…) und [Flavius] Josephus nichts derartiges berichteten; sondern sie schrieben, dass die in einer einzigen königlichen Basilika Versammelten sich besprochen und nicht prophezeit hätten.«

Hieronymus konnte diese Aussage treffen, da er über eine Kopie des (Pseudo)Aristeas Briefes verfügte. Ein berühmter Bibelkommentator und Zeitgenosse des Hieronymus, der im Unterschied zu ihm allerdings kein Hebräisch und wohl nicht sonderlich gut Griechisch konnte, war da allerdings einer dezidiert anderen Meinung: Augustinus hielt die Legende von der wundersamen Entstehung der Septuaginta für historisch.

Fortsetzung

 

 

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