Gefallene Engel II

In seinem Werk über Fragen zum Heptateuch  (also die sieben ersten Bücher der Bibel –  Genesis bis Richter) kommt Augustinus auf Gen 6,1 ff. zu sprechen. Seine Argumentation ist  dabei von einer gewissen Unsicherheit geprägt, allerdings nicht aus theologischen Gründen, sondern wegen dem weit verbreiteten Volksglauben zu diesem Thema.

Der große afrikanische Kirchenvater schreibt: »Ebenso wird gefragt, auf welche Weise Engel in der Lage gewesen wären, mit den Töchtern der Menschen zu schlafen, wodurch – so wird berichtet – Riesen geboren wurden: obwohl manche sowohl lateinische als auch griechische Handschriften nicht »Engel« lesen sollen [!], sondern »Söhne Gottes«: irgendwelche [Ausleger] glaubten, um diese Frage zu lösen, dass es gerechte Menschen gewesen seien, die auch mit dem Namen von Engeln bezeichnet werden können. Denn von dem Menschen Johannes [dem Täufer] steht geschrieben: siehe, ich sende meinen Engel vor deinem Angesicht, der deinen Weg bereiten wird [Mal 3,1; vgl. Mt 11,10]. Das führt entweder zu der Frage, auf welche Weise durch den Beischlaf von Menschen Riesen geboren worden sind? Oder wenn sie nicht Menschen, sondern Engel waren, wie konnten sie sich mit Frauen vereinigen?

Ich meine aber, was die Riesen betrifft, (das bedeutet überaus große und starke Menschen), dass es nicht erstaunlich ist, dass sie von Menschen geboren werden konnten; denn auch nach der Sintflut wurden solche ausfindig gemacht, dass sie existierten. Außerdem kommen auch in unseren Zeiten ganz unglaubliche Körpergrößen von Menschen vor, nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen. Daher ist es glaubwürdiger, dass gerechte Menschen, die entweder »Engel« oder »Söhne Gottes« genannt wurden, durch ihre Lust gefallen mit Frauen sündigten, als dass Engel, die keinen Körper haben, sich zu einer solchen Sünde erniedrigen konnten: obwohl über gewissen Dämonen von vielen so häufig gesagt wird, sie seien gierig nach Frauen, dass es nicht leicht sein wird, in dieser Sache zu einem Urteil zu gelangen.« (Quaestionum in Heptateuchum, Liber primus, Quaestiones in genesim III; MPL 34 S. 549, meine Übersetzung)

In seinem Gottesstaat ist sich Augustinus dann aber schon sicherer: Hier erteilt er der aus dem Henochbuch bekannten Deutung, Engel hätten mit menschlichen Frauen Nachkommen gezeugt, eine klare Absage. Er geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er den jüdischen Kanon dafür lobt, das Henoch Buch nicht anerkannt zu haben – obwohl es vom Judasbrief zitiert wird! (vgl. De Civitate Dei, XV, 23)

Was Augustinus aber nicht zustande bringt, ist die Ablehnung der Vorstellung von Dämonen, die mit Menschen Geschlechtsverkehr haben, weil es »in allem Ernst zugeschrieben wird von so vielen und gewichtigen Seiten, dass es wie Unverschämtheit herauskäme, solches in Abrede zu stellen« (ebenda). 900 Jahre später referiert Thomas von Aquin diese Position des Augustinus in seiner Summa Theologica I Q 51,3 ad 6 und zitiert seine Aussage von der »Unverschämtheit« (impudentia) wörtlich. Diese angeblich nicht aufzugebende Vorstellung von den Succubi und Incubi (Dämonen, die beim Beischlaf mit Menschen Sperma aufnehmen und weitergeben) wird dann im Malleus maleficarum, dem Hexenhammer des Jakob Sprenger und Heinrich Institoris (Erstdruck 1487) eine verhängnisvolle Wirkungsgeschichte entfalten.

Die beiden Autoren dieses Machwerkes behaupten, in dem sie unter anderem aus dem von mir genannten Kapitel des Gottesstaates zitieren:  es »ist zu sagen, dass die Behauptung, durch die Incubi und Succubi könnten bisweilen Menschen gezeugt werden, so gut katholisch ist, dass die Behauptung des Gegenteils nicht bloß den Aussprüchen der Heiligen, sondern auch der Überlieferung der Heiligen Schrift zuwider läuft.« (Hexenhammer I,3, S. 46)

Doch es bleibt festzuhalten, dass Augustinus und seine Nachfolger gegen ihre eigene biblische Auslegung an dieser Vorstellung festhielten, weil sie dem allgemeinen Volksglauben entsprach – wenn man so will, ein Sieg des Aberglaubens über die Theologie.

PS: Die deutsche Thomas-Ausgabe nennt als Vertreter der von Augustinus und Thomas abgelehnten Ansicht, in Gen 6,1 ff. gehe es um die sexuelle Beziehung von Engeln mit menschlichen Frauen »das Buch Henoch, das Testament der 12 Patriarchen, das Buch der Jubiläen, desgleichen Philo, Josephus Flavius, Justin, Tatian, Athenagoras, Klemens von Alex., Irenäus, Cyprian, Tertullian, Minucius Felix, Commodian, Methodius, Lactantius, Eusebius, Ambrosius, Sulpicius Severus« und führt weiter aus: »Die Stellungnahme dieser kirchlichen Schriftsteller [also in dieser Reihe ab Justin] ist teilweise bedingt durch eine gewisse Abhängigkeit von den apokryphen Schriften, teilweise auch durch die Unsicherheit, die über das Wesen der Engel in den ältesten Zeiten bestand.« (Band IV, Anmerkung 134, S. 452)

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